Das Victoria and Albert Museum in London ist das weltweit führende Museum für Kunst und Design. Mit fünfzehn Nationalsammlungen unter einem Dach – von Mode und Fotografie bis hin zu nachklassischer Skulptur und Architektur – richtet sich das allgemein unter der liebevollen Abkürzung V&A bekannte Museum nicht nur an Künstler und Designer, sondern auch an all jene, die sich mit Gestaltung auseinandersetzen. Art and Design for All: The Victoria and Albert Museum ist die größte je dem V&A selbst gewidmete Ausstellung und präsentiert das Haus als ein lebendiges modernes Museum, das die zeitgenössische visuelle Kultur und ausgezeichnetes Design erfahrbar macht.
Als ein gemeinsames Projekt des V&A und der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland setzt Art and Design for All die äußerst erfolgreiche Reihe der „Großen Sammlungen“ fort, in der herausragende Museen der Welt in Bonn präsentiert werden. Im Rahmen dieser Reihe hat die Bundeskunsthalle seit ihrer Eröffnung im Jahre 1992 zum Beispiel Meisterwerke aus den Sammlungen der Eremitage (St. Petersburg), des Museum of Modern Art (New York), des Prado (Madrid), der Vatikanischen Museen (Rom), des Petit Palais (Paris) und des Guggenheim Museum (New York/Bilbao/Venedig) gezeigt. Art and Design for All ist die erste Kooperation mit einem britischen Museum.
Die Ausstellung untersucht die Entstehungsgeschichte und den Einfluss des V&A als ein völlig neuer Museumstyp, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Qualität von Design im Alltag grundlegend zu verbessern, sei es in der Kleidung, die wir tragen, oder in der Einrichtung der Räume, in denen wir leben und arbeiten. Darin liegt die bis heute ungebrochene Bedeutung des V&A.
Die Exponate aus Kunst und Kunsthandwerk des 19. Jahrhunderts reichen von Möbeln, Keramik und Fotografien bis hin zu Wandteppichen, Skulpturen und Schmuck und umfassen Kostbarkeiten aus Indien, China, Japan und dem Mittleren Osten. Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat das Victoria and Albert Museum über 400 herausragende Stücke ausgeliehen. Um die Entstehungsgeschichte des V&A zu erzählen, haben weitere Leihgeber außerordentliche Objekte für die Ausstellung zur Verfügung gestellt: darunter die Royal Collection, das Science Museum (das aus derselben Vorgängerinstitution hervorging wie das V&A), das Museum of London, das Kunstgewerbemuseum in Berlin und das Museum für Angewandte Kunst in Budapest.
Die Ausstellung beginnt mit Prinz Albert, Gründer des V&A und Prinzgemahl von Königin Victoria. Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, dessen Todestag sich am 14. Dezember 2011 zum 150. Mal jährt, war ein Absolvent der historischen Bonner Universität. Neuere Forschungen zur Geschichte des V&A haben ergeben, dass dessen geistige Wurzeln auch in der Reform des deutschen Bildungswesens im frühen 19. Jahrhundert liegen. Alberts größter Triumph war die Ausrichtung der ersten Weltausstellung, der 1851 im sogenannten Kristallpalast im Londoner Hyde Park veranstalteten Great Exhibition. Zeitgenössische Gemälde der Weltausstellung zeugen von der Pracht und beispiellosen Vielfalt des Angebots. Eine eigens für die Ausstellung produzierte 3D Computer-Simulation ermöglicht Ausstellungsbesuchern einen virtuellen Rundgang durch den spektakulären Kristallpalast.
Die Weltausstellung war ein durchschlagender Erfolg. Nach ihrer Schließung wurde ein Gutteil des Gewinns aus den Eintrittsgeldern in den Ankauf von 35 Hektar Land für die Errichtung eines neuen Kulturforums gesteckt. Alberts ehrgeizige Vision eines kulturellen Zentrums mit Museen, Konzertsälen und universitären Bildungseinrichtungen wurde unter dem Namen „Albertopolis“ bekannt. Das V&A ist ein wichtiger Bestandteil dieser einzigartigen Agglomeration international bedeutender Institutionen im Londoner Stadtteil South Kensington. Die Ausstellung präsentiert nie zuvor gezeigte Entwürfe, die Prinz Albert bei deutschen und britischen Architekten in Auftrag gegeben hatte.
Frankreichs Antwort auf die Great Exhibition waren die Expositions Universelles; sie sind mit Werken, die für das V&A auf den Pariser Ausstellungen angekauft wurden, vertreten. Die erste Weltausstellung in London hatte gezeigt, dass das industrialisierte Vereinigte Königreich zwar die „Werkstatt der Welt“ war, dass es aber in Fragen des gehobenen Geschmacks weit hinter Frankreich zurücklag. Eine weitere Lektion der Great Exhibition war die Qualität von Kunst und Kunsthandwerk aus Asien. Den Einfluss Indiens, Chinas und Japans illustrieren in dieser Ausstellung asiatische Werke, die im 19. Jahrhundert für das V&A als Vorbilder für Designer, Produzenten, Händler und Konsumenten angekauft wurden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der frühen Sammlungen des V&A war die Idee, Reproduktionen von Kunstwerken in Form von Gipsabgüssen, Galvanokopien und Fotografien gleichberechtigt mit Originalen aufzustellen. Wie die Einrichtung der National Art Library (noch heute ein wichtiger Bestandteil des Museums) stehen diese Reproduktionen für das Bemühen, die Sammlungen in einen größeren Kontext einzuordnen und so für eine möglichst breitgefächerte Wissensvermittlung nutzbar zu machen – die neuen Museen waren das World Wide Web des 19. Jahrhunderts. Arts-and-Crafts-Möbel und Wandbehänge von William Morris, William Burges, Christopher Dresser und anderen herausragenden Designern und Jugendstilarbeiten schließen den Überblick über die frühen Sammlungen des V&A ab.
Eine Zeittafel mit Fotografien der im 19. Jahrhundert gegründeten kunstgewerblichen Sammlungen verdeutlicht die Bedeutung des Victoria and Albert Museum als Prototyp einer neuen Museumsform. Noch heute florieren die meisten Folgegründungen des V&A, betreiben Schulen und Bibliotheken und vermitteln zeitgenössische Architektur, Raumgestaltung und Produktdesign in ausgesuchter Qualität. Der letzte Abschnitt der Ausstellung ist der Vielfalt modernen Designs gewidmet und präsentiert eine Auswahl der jüngsten Erwerbungen des V&A sowie Videos von Interviews mit führenden Designern und deren persönliche Würdigungen des Museums als Quelle schöpferischer Inspiration für das 21. Jahrhundert.
Art and Design for All würdigt das V&A als Prototyp der im 19. Jahrhundert gegründeten Museen für Kunst und Design und verdeutlicht den Stellenwert und das Potenzial dieser Folgegründungen in der heutigen Museumslandschaft. Im 20. Jahrhundert rückten viele dieser Museen von Ankäufen zeitgenössischen Designs ab, um sich verstärkt auf die Präsentation ihrer historischen Schätze zu konzentrieren. Doch haben sie – wie auch das V&A – den Gründungsauftrag, die Qualität von Design in allen Bereichen des täglichen Lebens und für jedermann zu heben. So können Designmuseen den Anstoß geben, unsere Alltags- und Produktkultur mit neuen Augen zu sehen.
Abb. 20: Kleid, 1862, Seide
© Victoria and Albert Museum, London